KAPITEL 2 – Digitalisierung – Politische Umwelt

Autor: Alexander Disler

Der Staat nach 2025

Rückblickend führte die Digitalisierung zeitverzögert auch beim Staat zu vielen Änderungen. Darunter fallen positive wie negative Anpassungen. Dies denkt sich auch Ben. So sind deutlich weniger Beamte für den Staat tätig, was für die Normalos ja durchaus von Vorteil ist, da dadurch weniger Steuern eingezogen werden müssen. Andererseits gibt es nunmehr aber seit einigen Jahren eine grosse Anzahl an ehemaligen Beamten, die keinen Job mehr haben und sich sehr schwer damit tun, sich im Berufsleben zu behaupten. Auch auf den verschiedenen Ämtern wurden neuzeitliche, automatisierte Abläufe und Prozesse eingeführt, so dass man nun seit einigen Jahren alle Beamtengänge, die früher einen Gang auf die Behörde bedingten, elektronisch erledigen kann.

Mittels der AHV-Nummer (ähnlich einer Personalnummer) lässt sich nun beinahe alles ohne Behördengang erledigen, sogar die Verschreibung von Grundstücken, wie auch zivilstandesrechtliche Belange oder ein Wohnortwechsel. Ben schätzt dies sehr, so muss er nicht mehr zu bestimmten Zeiten bei der Behörde vorstellig werden. Der Bürger wurde dadurch aber «gläsern», d.h. alle Daten eines Menschen sind elektronisch zentral verfügbar und abrufbar. Dennoch fallen in letzter Zeit vermehrt Menschen durch diese Masche, nämlich all jene, die keine AHV-Nummer (= Alters- und Hinterlassenenversicherung der Schweiz, 1. Säule des Rentensystems) besitzen.

Es handelt sich dabei vor allem um aus staatlicher Sicht illegale Zuwanderer, die zudem schwarz und ohne Anmeldung arbeiten. Erst vor zwei Monaten startete die Polizei eine Kampagne mit verstärkten Kontrollen an Hotspots. Dabei wurde festgestellt, dass beinahe 10 % der kontrollierten Personen ohne Anmeldung im Land tätig waren. Die Politik hat sich diesem Thema nun angenommen. Ja, die Politik hat sich innerhalb von zehn Jahren stark verändert. Etwas reumütig blickt Ben zurück auf die Zeit, in der die Demokratie noch einigermassen funktionierte und Volksabstimmungen stärker gewichtet wurden. Zwar kann man auch heute noch abstimmen, dies einfach elektronisch und die Themen sind in etwa gleichgeblieben.

Die Mitsprache des Volks hat aber an Bedeutung verloren. Politiker ist heutzutage ein Vollzeitjob, vom Milizsystem, wie es die Schweiz einmal hatte, ist nichts übriggeblieben. (Als Milizsystem oder Milizprinzip bezeichnet man den Teilaspekt des politischen Systems der Schweiz, wonach öffentliche Aufgaben meist nebenberuflich ausgeübt werden. Dieses Prinzip hat eine lange Tradition, die auf den bereits in der Antike entwickelten Gedanken der Einheit von Bürger und Soldat zurückreicht, gemäss Wikipedia).

Es gibt im Parlament nur noch einen einzigen Parlamentarier, der gleichzeitig noch einen anderen hauptamtlichen Beruf ausführt. Alle anderen sind hauptberuflich Politiker, was man auch sehr gut spüren kann, da jeder gleichzeitig irgendein Lobbyist ist. Das Volk hat dadurch viele Rechte verloren, die Politik-Kaste entscheidet über die – aus ihrer Sicht – wichtigsten Punkte unter sich oder zusammen mit den internationalen Organisationen. Generell haben die internationalen Organisationen und multinationalen Gesellschaften weiter an Macht gewonnen, die sie auch über die Politik ausüben. Die Globalisierung ist somit auch in der Politik angekommen.

Das Volk antwortet auf seine Weise. Zum einen hat es sich noch stärker aus der Politik zurückgezogen und wurde gar politikverdrossen, zum anderen hat sich eine Subkultur entwickelt. Der Staat ist das alte gemächliche Monster, welches Rahmenbedingungen vorgibt, dafür einen Obolus in Form von Steuern verlangt und nur noch eine geringe soziale Ausgleichsleistung erbringt. Die Steuerbelastung ist dadurch tiefer, aber eben auch die Leistungen, die der Staat gegenüber seinen Bürgern erbringt. Die mündigen Bürger haben sich privatwirtschaftlich selbst organisiert, sei dies im Bereich der Sicherheit, der sozialen Wohlfahrt oder der Altersvorsorge.

Ben stellt sich dies wie einen Staat im Staat vor. So hat auch er sich bei einem privaten Versicherungskonzern für die Altersvorsorge eingekauft, in der Nachbarschaft ist er zudem vor zweieinhalb Jahren der lokalen NeighborhoodWatch-Group beigetreten. Mit einem jährlichen Beitrag und einem regelmässigen Einsatz hilft er dabei, seine Nachbarschaft weiterhin sicher zu machen. Dabei helfen auch einige elektronische Tools, wie die erst vor drei Jahren installierte Gesichtserkennung bei allen Hauseingängen. So lässt sich selbst Monate später noch feststellen, wer wann das entsprechende Haus betreten hat. Neu sollen auch die Hauptzugänge des Quartiers mit entsprechenden Kameras ausgerüstet werden.

E-Voting

Die Schweiz war und ist eine Vorreiterin beim E-Voting, obwohl sich bis heute kein einheitliches System etablieren konnte. Somit ist ein elektronisches Wählen/Abstimmen schweizweit möglich. Im Jahr 2000 wurde das Projekt «Vote électronique» lanciert und daraus hervorgehend wurden ab 2004 erste Versuche im Kanton Genf durchgeführt. Weitere Kantone folgten darauf, aber als typisch schweizerische Eigenart («Kantönligeist») ist der Durchbruch noch nicht erfolgt. Drei unterschiedliche Systeme wurden bis heute entwickelt: eine Eigenentwicklung des Kantons Genf, ein System der Post, das u.a. der Kanton Neuenburg einsetzt und die Lösung des «Consortium Vote électronique». 2013 wurden im Genfer E-Voting-System noch Sicherheitslücken aufgedeckt, wodurch politischer Widerstand aufkam.

Im August 2015 stoppte der Bundesrat das «Consortium Vote électronique» mit den neun involvierten Kantonen (ZH, AG, FR, GL, GR, SH, SO, SG und TG) mit der Begründung, dass es noch Lücken im Schutz des Stimmgeheimnisses gibt. Weitere Testphasen sind aber geplant, um eine pannenfreie Abwicklung sicherzustellen.
Dabei könnte E-Voting dazu beitragen, dass die grosse Mehrheit der Stimmberechtigten regelmässiger wählt, insbesondere für alle Auslandschweizer wäre eine solche Stimmabgabe deutlich einfacher und effizienter. Durch die Unterbrechung wird die Umsetzung jedoch verzögert, insbesondere, da die heutigen drei Lösungen völlig unterschiedlich aufgebaut sind.

Das Genfer System basiert auf einem zentralem Stimmregister, die Zürcher Lösung ist dezentral und die Neuenburger Software (Post-Lösung) verfügt über einen Online-Schalter. Wer im Kanton Neuenburg per E-Voting abstimmen möchte, muss vorgängig einen Vertrag unterzeichnen.Eine der grössten Herausforderung beim E-Voting ist die Sicherheit, so wird die Stimme anonym abgegeben, der Stimmbürger muss jedoch gleichzeitig identifizierbar sein. Wie der Bundesrat beschlossen hat, soll bis zum Jahr 2020 allen Stimmbürgern das Wählen und Abstimmen per E-Voting ermöglicht werden. Dies stellt damit ein kantonsübergreifendes Ziel dar.

Digitaler Staat

E-Service ist hierzu das entsprechende Stichwort. Es bedeutet, dass Bürger und Bewohner eines Staates entsprechende Dienstleistungen, die im Zusammenhang mit dem Staat stehen, mittels eines elektronischen Systems abwickeln können. Ein Behördengang entfällt dadurch.

In Schweden sind Behördengänge nicht mehr nötig, so lassen sich problemlos etwa die An- oder Ummeldung eines Fahrzeuges, der Wohnsitzwechsel oder die Teilnahme an Wahlen elektronisch erledigen. Ist das eigene Kind krank, so meldet man dies direkt über die Webseite der entsprechenden Schule.

Schweden ist der Pionier in Sachen E-Gouvernement, die Politik hat sich ganz dieser Aufgabe verschrieben. Sämtliche Anliegen, und dies sind wirklich alle Anliegen, der Bürger werden elektronisch abgewickelt, dabei kann der Bürger auch den jeweiligen Bearbeitungsstatus digital abfragen. Dies führte jedoch auch dazu, dass der zwischenmenschliche Kontakt zwischen Amt und Bürger verloren ging. Bei Nicht-Standardabläufen, die nach wie vor konventionell abgewickelt werden, ist dadurch die Bearbeitungszeit stark angestiegen. Damit die Bürger die digitalen Services einheitlich nutzen können, wurde das gesamte System basierend auf einer sogenannten Personennummer (ähnlich der AHV-Nummer) aufgebaut. Ohne diese Nummer geht gar nichts: Sei dies beim Kauf eines neuen Handys, bei der Unterzeichnung eines Mietvertrags für eine Wohnung oder bei der Sammlung von Treuepunkte bei H&M.

Deshalb wird in Schweden nicht nach dem Namen gefragt, sondern nach der Personennummer. Der Datenschutz wird in einem solchen Fall, in dem alle Daten auf einer Nummer zusammenlaufen, extrem wichtig, bzw. auch dementsprechend problematisch. In Schweden wurde sichergestellt, dass keine Person auf sämtliche Daten Zugriff hat. Dennoch verbleibt ein Restrisiko – was wäre, wenn das System gehackt würde?

Die personenbezogenen Daten der Schweden werden vom Staat weiterverwendet, sei dies, um staatliche Leistungen zu optimieren (z.B. Budgeterstellung für die Einkommenssteuer), aber auch, um die gesammelten Daten der Bürger an private Unternehmen weiterzuverkaufen. Der Staat erachtet diese Daten als sein Eigentum und profitiert zudem von den entsprechenden Verkaufserlösen. Die digitalen Daten der Bürger und Bewohner werden also ohne «grossen» Datenschutz weitergereicht.

Aus der nachstehenden Grafik lässt sich der aktuelle Stand der einzelnen Länder in Europa in Sachen Digitalisierung entnehmen. Der europäische DESI-Report ist aus dem Jahr 2017 und zeigt auf, dass die nordischen Länder deutlich weiter entwickelt sind als die südlichen Länder.