KAPITEL 3 – Digitalisierung – Soziale Umwelt

Autor: Alexander Disler

Das soziale Arbeitsumfeld von Ben

Etwas atypisch hat Ben im Jahr 2030 einen Vorgesetzten, der zudem als direkte Ansprechperson gilt. Die meisten seiner Kollegen und Freunde haben keinen Chef mehr. Sie alle sind selbstständig, arbeiten demnach je nach Bedarf und Projekt. Selbstständig zu arbeiten ist keine grosse Schwierigkeit, da es in der Zwischenzeit eine Vielzahl von E-Plattformen gibt, bei denen man sich anmelden und sich für eine Tätigkeit bewerben kann. Die Projektbezogene Arbeit ist im Jahr 2030 die Regel, die Festanstellung eher die Ausnahme. Ben ist festangestellt, arbeitet in seinem Job aber vor allem projektbezogen. Routinetätigkeiten werden heute von Maschinen und Robotern ausgeführt. Menschen werden nur noch bei zwischenmenschlichen Jobausführungen benötigt, also dann, wenn es um eine emotionale zwischenmenschliche Arbeit geht, wie z.B. bei der Beratung und Betreuung eines Verkaufs oder Einkaufs, bei der Pflege, bei der künstlerischen Ausführung in der Produktherstellung oder bei äusserst komplexen und anspruchsvollen Tätigkeiten.

Auch der ganze Tourismus bevorzugt nach wie vor Menschen, da dies die authentische Lebensart der ursprünglichen Bewohner besser widerspiegelt. Die aufgewendete Arbeitszeit pro Mensch sinkt laufend, d.h., auch Ben muss immer weniger Zeit für die Arbeit aufwenden. Vor 15 Jahren war dies noch ganz anders, da war der Arbeitsdruck derjenigen Menschen in den Industrienationen, die eine Arbeit hatten, sehr hoch. Es kam zu Burnouts, zumeist auf Grund der Arbeitsbelastung, denn der Druck, der auf den produzierenden Unternehmen lastete, war sehr gross. Mit den erweiterten technischen Möglichkeiten, insbesondere der allumfassenden Automatisierung, hatten die Menschen immer weniger zu tun.

Heute sind nur noch ein paar wenige Branchen noch nicht komplett automatisiert, so z.B. die Rohstoffgewinnung und der ganze künstlerische, gestalterische Bereich. Da wird nach wie vor auf Menschen gesetzt. Und natürlich der ganze Bereich der speziellen Software-Programmierung, obwohl Ben erst kürzlich einen umfassenden Fachartikel über die automatische Standardprogrammierung der künstlichen Intelligenz gelesen hatte. Der Artikel beschrieb im Detail, dass selbst komplexe Anforderungen mit dem neuen Galileo-Computer innerhalb von wenigen Stunden programmierbar ist.

Mit seinem Vorgesetzten ist Ben sehr happy, er ist mehr ein Vater denn ein Führungsvorgesetzter. Ben wird von ihm gecoacht, weniger geführt. Wenn Ben zurück auf seine Karriere denkt und an die Zustände im Jahr 2015, muss er schmunzeln. Sein erster Chef im Lehrbetrieb war ein Choleriker, der oftmals Wutausbrüche hatte und zumeist nicht nachvollziehbare Entschlüsse fällte. Auch meinte sein damaliger Chef, der nun seit 2021 pensioniert ist, bei allen Fragen immer Recht zu haben. Egal, worüber man diskutierte oder was man beschloss, der Vorgesetzte hatte immer eine Antwort bereit (auch wenn sie komplett falsch war) und hatte auch bei Kunden das letzte Wort (und wusste zudem bei allen Themen immer alles besser). Waren dies schlimme Zeiten! Damals waren Vorgesetzte die allwissenden Machtmenschen, alle und alles hatte sich ihnen unterzuordnen. Besonders die älteren Führungskräfte mit einer höheren Ausbildung fühlten sich dazu berufen, den Jungen die Welt der Unternehmen darzulegen. Dabei war es ja auch damals sehr einfach: Man musste nur googlen und konnte auf diese Weise das Gegenteil beweisen.

Heute, im Jahr 2030, werden in den Unternehmen Fakten und alle verfügbaren Informationen über alle Hierarchiestufen hinweg geteilt. Dadurch existieren einerseits nicht mehr viele Hierarchiestufen und andererseits werden überall ganz gezielt die Schwarmintelligenz und die Mitsprache genutzt. Was ebenfalls komplett anders ist: Gegenüber früher gibt es deutlich mehr ausschliessliche Projektmitarbeiter (externe Selbstständige), die nur für eine begrenzte Zeit im Unternehmen tätig sind. So herrscht ein laufendes Kommen und Gehen.

Ben schätzt diese offene und informelle Kultur – die Zusammenarbeit ist durch gegenseitige Achtung und Offenheit geprägt. Er bedauert aber, dass es im Unternehmen keine Konstante mehr gibt. So handelt es sich bei etwa 50% der Mitarbeiter um Projekt-Selbstständige, die nur für bestimmte Vorhaben in der Firma tätig sind. Für vertiefte und persönliche Kontakte besteht keine Zeit oder Möglichkeit. Das Interesse der externen Selbstständigen beschränkt sich lediglich auf das entsprechende Projekt und vielfach, so hat Ben festgestellt, fehlt auch die langfristige Objektivität. Da alles schnelllebiger und kurzfristiger geworden ist, spielt dies aber keine grosse Rolle, denn wer weiss schon, was morgen ist? Aber dies war ja auch schon 2015 so.

Führungskultur/Führungsstil

Die digitale Transformation verlangt ein neuen Managementstil, da Arbeitsprozesse dank der Digitalisierung transparenter und flexibler werden. Diese Erkenntnis ist jedoch erst in wenigen Unternehmen angekommen. Da Veränderung auch bei Managern und Führungskräften zu einer Verunsicherung führt, ist die Angst vor dem Neuen gross. Durch die Digitalisierung werden alle Arbeitsprozesse im Unternehmen agiler und anpassungsfähiger, dies erfordert aber auch eine flexiblere Führungskultur.

Die heutige Führungskultur in den klassischen Unternehmen passt vielfach weder zu den Vorstellungen und Wünschen der Arbeitnehmer, noch zu den neuen Herausforderungen der digitalen Wirtschaftswelt. Eine Studie von Microsoft Deutschland bestätigt dies. Microsoft beauftragte TNS Infratest damit, mehr als 1’000 Angestellte zu befragen. Gemäss der Studie wünscht sich die Mehrheit der Arbeitnehmer in Deutschland zum Beispiel

  • einen umfassenderen und einfacheren Zugang zu Informationen (85%)
  • die Möglichkeit, Entscheidungen dadurch selbständig treffen zu können (85%)
  • ein regelmässiges Feedback durch den Vorgesetzten (84%)
  • mehr Flexibilität bei der Arbeit (71%).

20% der Befragten finden aber bereits heute, dass ihnen der Einsatz von digitalisierten Abläufen ein schnelleres Feedback ermöglicht und bei 19% der Befragten wurde dank der Digitalisierung bei Arbeitszeit und -Ort eine Flexibilisierung erreicht.

Die Anforderungen an die Führungskraft oder das Management steigen mit der digitalen Transformation. Die zukünftige Führungskraft sollte kooperationsfähig und empathisch sein, zudem sollte der Vorgesetzte mit den vielfältigen Vorstellungen und Anforderungen der Teammitarbeiter und Kollegen umgehen können. Die neuen Technologien helfen dabei, einfacher miteinander zu kommunizieren, zugleich sind Informationen transparent und allzeit verfügbar und die zu erledigende Arbeit kann flexibler eingeteilt und abgearbeitet werden. Es ist davon auszugehen, dass Hierarchien in Unternehmen deutlich reduziert werden und dass vermehrt informelle Teamgruppen gebildet werden. Dadurch wird auch die Führungsverantwortung von einzelnen Managern auf die Teams übertragen. Heutige Führungsverantwortliche sollten die bisherigen Machtstrukturen mit Kontrollfunktionen überdenken und sich den neuen Gegebenheiten anpassen.

Dass dies nicht jedem Manager gelingen wird, ist absehbar und wird für die entsprechenden Unternehmen dementsprechende Nachteile mit sich bringen. Die digitale Transformation mit ihrer Transparenz, Schnelligkeit, Wissensverteilung und Informationsverfügbarkeit bedingt eine nachhaltig funktionierende Organisationsstruktur. Die Lösung kann nur eine barriere-, hierarchiefreie, selbstbestimmtes und eigenverantwortliches Arbeiten im Unternehmen sein. Vorgaben sowie ein klarer Rahmen, analog einer Leitplanke auf der Autobahn, müssen jedoch aktiv vorab im Team miteinander erarbeitet werden. Dabei ist auch der Betrachtungswinkel zu ändern. In einem klassischen Unternehmen, wie man es bis anhin kannte, werden die Menschen durch Manager geführt, in der digitalen Transformation wird nur noch das System gemanagt.

Einer der Schlüsselfaktoren wird es sein, Kontrolle abzugeben, d.h. Führungskräfte müssen lernen, den Kompetenzen und Fähigkeiten der Mitarbeiter zu vertrauen. Die Führungskräfte übernehmen dabei eine wichtige Funktion: einerseits das Leiten des Systems und andererseits die Festlegung von Vorgaben oder Zielen sowie die Weiterentwicklung von bestehenden Prozessen. Dies verlangt ein «feines» Gespür, da die Mitarbeiter nach wie vor emotional hohe Anforderungen an den Arbeitgeber stellen.

Auch Selbstorganisation benötigt Führung

Mit der digitalen Transformation wird die Selbstorganisation von Teams oder Projektgruppen eine dominante Rolle erhalten – die klassischen Aufbauorganisationen haben dabei ausgedient, wie auch die Kontrollstrukturen der vergangenen Zeiten. Dies alles heisst aber nicht, dass Organisationen, die sich selbst organisieren, keine Führung benötigen. Ganz im Gegenteil: Auch Selbstorganisationen benötigen, sofern sie erfolgreich sein wollen, eine klare Führung –aber auch andere Prinzipen kommen zur Anwendung:

  • Die neuen Führungsmodelle sind dezentral und funktional organisiert, wobei die Führung des Teams eine einzelne Person sein kann, oder auch eine Gruppe von Personen (Schwarmintelligenz einer Gruppe/Organisation), die ihre eigenen Vorgaben und Regeln definieren. Der Fokus der Führung liegt dabei auf der Organisation der eigentlichen Tätigkeit und nicht, wie in den klassischen Modellen, auf der Organisation und der hierarchischen Einteilung der einzelnen Arbeitskraft und einer Führung nach dem Push-Prinzip.
  • Um den neuen Anforderungen gerecht zu werden, wird auch eine neue Art von Führungspersönlichkeit verlangt. Die neuen Leader sollten begeistern können, dazu sollten sie Themen und andere Menschen individuell fördern können, wie sie auch ein produktives, optimales und motiviertes Umfeld für die involvierten Kollegen schaffen sollten. Die klassischen Manager und Führungspersönlichkeiten (mit den klassischen Führungsmodellen) werden in den neuen Organisationsformen einen immer schwierigeren Stand haben.

Die Transformation von einer klassischen Aufbauorganisation in eine neue dezentrale, projektgetriebene Organisation ist äusserst herausfordernd und benötigt vor allem auch die notwendige Einsicht des Top-Managements oder des Verwaltungsrats bzw. Beirats des Unternehmens. Dieser Wechsel benötigt u.a. auch viel Zeit und Ressourcen, ist aber überlebenswichtig, wenn man sich den Veränderungen im Markt stellen will.

Ein Computer schreibt Gedichte – Auszug aus 20min.ch vom 27.04.2016

Ein kreativer Computer schreibt Gedichte – doch taugt er auch etwas? Wir lassen ihn gegen den Schweizer Dichter Jürg Halter antreten.

Computer haben nicht nur immer mehr Rechenpower, sondern werden auch zunehmend kreativer. So hat ein englischer Forscher mit Full-Face ein lernfähiges Programm entwickelt, das Gedichte schreiben kann. Dazu durchstöbert es das Internet nach inspirierenden Informationen und wählt einen Newsartikel aus, über den es ein Gedicht verfasst.

Die Online-Zeitung 20 Minuten wollte es exakter wissen, wie gut der Computerdichter wirklich ist, und hat den Schweizer Dichter Jürg Halter gebeten, gegen das Computerprogramm anzutreten. Das Resultat: zwei Gedichte, beide basieren auf demselben Artikel einer englischen Zeitung über die Apartheid in Südafrika.

Erraten Sie, welches Gedicht von Jürg Halter und welches vom Computer stammt?

Gedicht 1: Blaue Overalls

Die einförmige Wachsamkeit ehrwürdiger afrikanischer Gesänge
Ein heldenhafter Kampf, wie die Persönlichkeit eines Soldaten
Ein unerträgliches symbolisches Timing, wie ein Aufschrei
Blaue Overalls, jeder wie eine Blaubeere
Einige präsidiale viele selbstlose Stammesfürsten
Oh! so einflussreiche Präsidenten
So grosse Präsidenten, blaubeerblaue Overalls
Lerchenblaue Overalls
Ein ritterlicher Heldenkampf

Gedicht 2: Tanzendes, taumelndes Südafrika

Für einen Tag feierliche Einigkeit in Vielfalt,
viele Floskeln, Feuerwerke, Vuvuzelas,
lautes Gedenken an Namenlose, die
im Kampf um Gleichheit fielen,
auffallend: die Abwesenheit
des grossen, selbstlosen Mannes,
hundert Jahre Freiheitsbewegung,
tanzendes, taumelndes Südafrika,
brüchige Einigkeit, fürwahr

Haben Sie richtig geraten? Das zweite Gedicht stammt vom menschlichen Dichter Jürg Halter – die Wortwahl und der Zusammenhang der Erzählung sind qualitativ deutlich besser als beim maschinell erstellten Gedicht. Nur ist dies lediglich eine Frage der Zeit, bis die Maschine uns ein- und vielleicht sogar überholt.

Veränderung des Kaufverhaltens

In der Marketing-Fachsprache spricht man von einer «Reise des Kunden zum Unternehmen/Kauf» (Customer Journey). Diese Reise umfasst verschiedene Phasen, die der Kunde durchläuft, bevor er sich für den Kauf eines Produktes/Dienstleistung entscheidet. Wichtige Punkte auf dieser Reise werden als «Customer Touch Points» (Kundenberührungs-Punkte) bezeichnet.

Zwischen dem klassischen Kaufprozess und dem digitalen Einkaufsprozess bestehen einige Unterschiede. Bisher wurde bezüglich des Stimulus im Zuge des Kaufentscheidungsprozesses nur zwischen dem First- und Second-Moment-of-Truth unterschieden. Der First-Moment-of-Truth (FMOT = erster Moment der Wahrheit) bezeichnet den Zeitpunkt, zu dem ein potentieller Käufer ein Produkt oder eine Dienstleistung zum ersten Mal körperlich in Augenschein nehmen kann. Hier treffen dann die durch Werbung etc. aufgebauten Erwartungen auf die Realität des Produktes oder der Dienstleistung.

Der Second-Moment-of Truth (SMOT) umfasst den Zeitpunkt, zu dem der Käufer ein Produkt oder eine Dienstleistung tatsächlich nutzt. Dabei spielen die aufgebauten Erwartungen (z.B. durch Werbung) und der tatsächliche Produktnutzen eine wichtige Rolle. Hier wird auch vom Moment der Wahrheit gesprochen, da sich in diesen beiden Momenten zeigt, ob insbesondere die durch die Werbung, die Produktpräsentation, den Verkauf oder die Beratung geschaffenen Erwartungen des Kunden sich tatsächlich auch erfüllen. Diese traditionelle Kundenreise kann durch die Aida Formel dargestellt werden.

A  =   Attention                    Aufmerksamkeit
I    = Interest                         Angebot
D  = Desire                            Entscheidung
A  = Action                            Handlung

In der digitalen Welt wird dieser Prozess zusätzlich durch den «Zero-Moment-of-Truth» (ZMOT = der Moment der Wahrheit) ergänzt, welcher den beiden anderen Momenten vorgelagert ist. Dieser besagt nichts anderes, als dass die entsprechenden Konsumenten sich vor einem Kauf umfassend informieren (ob klassisch oder per Internet spielt dabei keine Rolle). Kunden beschaffen sich hierbei frei und einfach verfügbare Informationen aus Blogs, Communities, Kommentaren bei Facebook oder Twitter, Rezensionen auf den Webseiten (z.B. Amazon), oder speziellen Plattformen (wie z.B. Ciao!, billiger.de, check24, g+, holidaycheck oder booking).

Dabei nutzt der potentielle Kunde durch den Zugriff auf Berichte, Fotos und Videos von unbekannten Dritten die fremden Erfahrungen und antizipiert sein persönliches Wissen mit demjenigen von Unbekannten. Dabei sollte die 1:9:90-Regel beachtet werden. Diese besagt, dass bloss 1 % der Internet-User eigene Beiträge, Kommentare, Berichte oder Beurteilungen eintragen (posten), 9 % der User auf solche Einträge reagieren, während 90 % die Beiträge bloss lesen. Als Unternehmen sollte man die 1 % der Meinungsführer im Internet erkennen und idealerweise für sich gewinnen können.

Der ZMOT ist also eine Vorselektion und Analyse, die vor den beiden anderen Momenten geschieht. Eine US-Studie von Google aus dem Jahr 2011 zeigt, dass vor dem eigentlichen Kauf-Akt über zehn verschiedene Quellen herangezogen werden. Dabei ist zu beachten, dass die Kunden den neutralen Empfehlungen von Unbekannten deutlich mehr Gewicht zumessen als zum Beispiel der Werbung oder der Produktspezifikation des Produktes bzw. der Dienstleistung. So wurde die klassische Aida Formel für das digitale Zeitalter weiterentwickelt, die nun folgendermassen lautet:

A  =   Attention                    Aufmerksamkeit
S  =   Search                          Suchen/Überprüfen
I    = Interest                         Angebot
D  = Desire                            Entscheidung
A  = Action                            Handlung
S  = Share                              Teilen

Durch die beiden Elemente «Search» und «Share» wird der heutige Prozess (Kundenreise) ergänzt. Unter «Share» versteht man das Teilen der eigenen Erfahrungen durch Kommentare via Facebook, Twitter, Blogs, Foren und Communities.