KAPITEL 7 – Digitalisierung – Mediale Umwelt

Autor: Alexander Disler

Medien, künstliche Welten und Entwicklungen im 2030

Fernsehen war einmal: Heute kann man mit einigen Hilfsmitteln, die sowohl die visuelle, die akustische, die olfaktorische (den Geruchssinn betreffende), die gustatorische (den Geschmackssinn betreffende) und die haptische (den Tastsinn betreffende) Sensorik ansprechen, virtuelle Welten besuchen. Dabei taucht man jeweils komplett in diese Welt ab – es sind Scheinwelten, welche die Menschen ihre aktuelle Umwelt komplett vergessen lassen. Dass man zu zweit oder mit mehreren Menschen einen Film schaut oder einen Anlass besucht, ist heutzutage selten. So lassen sich auch Events, wie Sportveranstaltungen (Fussball-Spiele, Wettkämpfe oder andere Sportveranstaltungen) als virtueller Besucher miterleben, so als ob man selbst vor Ort wäre.

Auch Reisen lassen sich auf diese Weise erleben. Für einige wenige Stunden verreist man virtuell in ein fernes Land und erlebt es so in der virtuellen Welt. Dies hat entscheidende Vorteile, so ist es deutlich kostengünstiger als die wirkliche Reise, zudem weniger gefährlich (man wird nicht ausgeraubt), es sind keine Grenzkontrollen zu bestehen, die unbequeme Reise in Transportmitteln entfällt, genauso der Jetlag oder schlechtes Essen, aber dennoch ist das Erlebnis mit der Realität vergleichbar.

Ben kennt Menschen, die in der Zwischenzeit mehr Zeit in der virtuellen Welt verbringen als in der Realität. Es ist vergleichbar mit dem alten Fernsehkonsum. Auch da gab es Menschen, welche von frühmorgens bis abends spät vor der Glotze sassen oder Stunden (oder gleich ganze Nächte) mit Videospielen zubrachten. Das Suchtpotential der neuen Möglichkeiten ist sehr gross und verschiedene Organisationen warnen seit mehreren Jahren vor einem zu grossen Missbrauch.

Diese Menschen leben in der virtuellen Welt, besonders die Spieler von «Games» (Videospielen). Darin kann man sich selbst eine Persönlichkeit zusammen «zimmern», einen Beruf ausführen (den man gar nicht ausübt), Sport treiben (den man nicht kennt) und so in einer absoluten Scheinwelt «leben».
Die neue Technologie hat aber auch sagenhafte Vorteile, so kann man mit dem Headset an Fussballspielen teilnehmen, als wäre man unmittelbar selbst im Stadion und so (indirekt) beim Match dabei sein. Oder man läuft in das noch nicht gebaute Eigenheim von Zimmer zu Zimmer, möbliert es mit Möbeln und Gegenständen der verschiedenen Hersteller und betrachtet die Aussicht auf seine Umgebung.

Alle heute existierenden Hersteller bieten in der Zwischenzeit die virtuelle Erfahrung mit ihren Produkten an, d.h., man kann vor einem Kauf oder Erwerb des entsprechenden Konsumguts das Produkt virtuell auf Herz und Nieren prüfen.
Auf Grund dieser Möglichkeiten gibt es nun seit einigen Jahren einen sehr starken Gegentrend: Immer mehr Menschen verschliessen sich vor diesen Möglichkeiten.

Ben wie auch seine neue Freundin Mia gehören zu dieser Gruppe. Bei diesen Konsumenten steht die Realität im Vordergrund, die virtuelle Welt interessiert immer weniger. Nur wenn etwas selbst und damit live erlebt wurde, gilt es als das «echte Leben». Dabei nutzt diese Konsumentengruppe die virtuelle Welt sehr wohl, aber eben gezielt, wie z.B. bei der Betrachtung eines neuen Eigenheims. Alles andere, wie Reisen, Nachrichten Konsumieren, Bücher oder Zeitungen Lesen, erfolgt in der alten analogen Welt.

Kommunikationsverhalten

Die Nutzung der digitalen Kommunikationsformen hat unsere Gesellschaft durchdrungen. Die erste Grafik zeigt unser Nutzerverhalten, sowohl privat als auch geschäftlich.
Was generell auffällt ist, dass beinahe jeder Einwohner täglich digitale Kommunikationsformen nutzt.

Der Laptop und das Smartphone werden heute als Kommunikationsgerät am intensivsten genutzt. 9 von 10 Nutzern greifen darauf zurück.

Eine umfassende Erhebung von Focus vom April 2016 zeigt für Deutschland die nachstehenden Werte der durchschnittlichen Nutzer in der digitalen Welt. Für die Schweiz werden die Zahlen ähnlich sein:

Anzahl Nutzer In Prozenten
Deutsche Internetnutzer 71.73 Mio 88.9 %
Nutzer sozialer Netzwerke 29.0 Mio 35.9 %
Mobile Nutzer sozialer Netzwerke 24.0 Mio 29.7 %
Messenger-Nutzer 31.47 Mio 39.0 %
Nutzer digitaler Landkarten 27.4 Mio 33.9 %
Videos auf dem Smartphone schauen 19.37 Mio 24.0 %
Spiele auf dem Smartphone spielen 16.25 Mio 20.1 %
Nutzer von Mobile Banking 16.1 Mio 19.9 %

Stand: 2016

Die Deutschen beschäftigen sich im Schnitt pro 24h mit … Zeit In Prozenten / in 24h
Schlafen und Körperpflege 9 Std. 31 Min 39.6 %
Internet per PC oder Tablet 3 Std. 20 Min 13.9 %
Fernsehen 2 Std. 33 Min 10.5 %
Essen 1 Std. 41 Min 6.9 %
Internet per Handy 1 Std. 21 Min 5.5 %
Sozialen Netzwerken 1 Std. 9 Min 4.8 %
Lesen 0 Std. 32 Min 2.1 %
Kulturellen Veranstaltungen 0 Std. 14 Min 1.0 %

Stand: 2016

Durchschnittliche Nutzungszeit von … Zeit/Anzahl In Prozent
Tägliche Smartphone-Nutzung 63x
Nutzungszeit pro Aktivierung 2:49 Min
Täglich mit dem Smartphone verbrachte Zeit 2 Std. 49 Min 11.7 %

Stand: 2016

Digitalmarketing

Der Wechsel von der klassischen Werbung und dem bisherigen Marketingverständnis in die digitale Welt läuft je nach Branche in unterschiedlichen Geschwindigkeiten ab. Es gibt Branchen, in denen diese Entwicklung schon weit vorangeschritten ist, aber daneben gibt es auch solche, in denen beinahe nichts von dieser Veränderung zu spüren ist. So sind Mythen im Digitalmarketing entstanden, auf die ich hier kurz eingehe.

  1. Mobile Werbung
    «Mobile Werbung funktioniert nicht, weil sie den User stört». Eine vielfach gehörte und verwendete Aussage. Der User stört sich an der eingeblendeten Werbung auf den Webseiten oder dem Smartphone. Aber er nervt sich dabei nicht mehr, als an der TV-Werbung oder der Werbung in der Printausgabe einer Tageszeitung. Man sollte sich auch bewusst machen, dass der Nutzer nicht bereit ist, für Angebote im Netz zu zahlen. Auch das «Freikaufen» ist ein Mythos.
    Tune Inc. aus Seattle hatte im Januar 2016 beinahe 4‘000 Smartphone-Nutzer dazu befragt, welchen Betrag sie zu zahlen bereit wären, um keine Werbung mehr auf ihrem Smartphone zu erhalten. Nur gerade 1/3 der User (30.7%) wären bereit, Geld dafür auszugeben. Der grosse Rest und damit 2/3 der User (69.3%), sind nicht bereit, etwas dafür zu bezahlen bzw. akzeptieren die Werbung auf ihrem Smartphone.
    Werbeblocker (ad blocking software) werden heute nur von wenigen Nutzern gezielt eingesetzt und genutzt.
  2. Somit ist die mobile Werbung gar nicht so störend, wie gewisse Kritiker meinen. Daher machte es absolut Sinn, auf allen Kanälen Werbung zu betreiben, sei dies als mobile Werbung oder mit klassischen Werbemitteln, denn es geht darum, mit der Werbebotschaft die Kaufwahrscheinlichkeit zu steigern. Die Instrumente müssen aber aufeinander abgestimmt sein und das Produkt Glaubwürdigkeit sowie Authentizität ausstrahlen.
  3. Content Marketing ersetzt Werbung
    Werbung hat gegenüber dem Content-Marketing eine ganz andere Aufgabe im Marketing-Mix zu erfüllen. Nur schon deshalb sollten die beiden Instrumente nicht direkt verglichen werden. Content Marketing ist eher eine Ergänzung zur Werbung. Für Content-Marketing spricht, dass Content-Marketing nicht wie eine Werbekampagne einfach aufhört, sondern weiterlebt. Deshalb ist Content-Marketing auch viel langfristiger, arbeitet mehr mit journalistischen Botschaften und vor allem mit Bildern. Diese Bilder können einfacher emotionale Botschaften transportieren, als dies Text kann. Bilder eignen sich aber auch besser, ganze Geschichten zu erzählen, in Form von Story Telling.
  4. Banner-Werbung
    Wenn man ans Internet denkt, so denkt man auch an Banner-Werbung. Unzählige Male wurde diese Werbeform schon für tot erklärt. Dennoch ist die Banner-Werbung auch heute noch eine der meist genutzten Werbeformen im Internet. Dass Banner-Werbung nach wie vor ihren Platz verteidigen kann, kommt sicherlich auch daher, dass unsere Internet-Nutzung nach wie vor ansteigt. Im Durchschnitt pro Person werden täglich etwa zehn Stunden für Musik, Nachrichten, Spiele, Video, Streaming, E-Mails und Messaging aufgewendet. Bei all diesen Aktivitäten besteht die Möglichkeit, eine Interaktion zu erreichen. Im Idealfall werden die Werbe-Banner angeklickt, im schlechteren Fall aber sehr wohl als Werbebotschaft wahrgenommen. Deshalb sollte jegliche Werbung eine Form von Aktivierung auslösen, was auch für Werbe-Banner gilt. Generell löst wahrgenommene Werbung Emotionen aus, bei Marken zudem in gewissen Fällen eine Identifikation – sei diese positiv oder negativ.
  5. Automatisierte Werbung (= Programmatic Advertising)
    In den letzten 2 Jahren ist die automatisierte Werbung bei Werbeschaffenden das ganz grosse Thema. Es stellt sich die Frage, bis wann Werbung nur noch automatisiert gebucht werden kann? Dabei wird der Begriff des Programmatic Advertisings verwendet, worunter man den vollautomatischen Ein- und Verkauf von Werbeflächen in Echtzeit versteht. Dabei werden auf den Nutzer zugeschnittene Werbebanner auf Grund der vorliegenden Nutzerdaten (Big Data) automatisch ausgeliefert. Die Werbefläche ist dadurch individualisiert. Der Verkauf der Werbefläche funktioniert ähnlich einer Auktionsplattform, der Höchstbietende erhält den Zuschlag und kann den individualisierten Banner an den Nutzer ausliefern. In den USA werden bereits rund 70 % des Display-Advertising-Volumens programmatisch gehandelt, in Europa sind es knapp 10%.
    Der Mensch wird nach wie vor für die Kreation und die Werbebotschaften / Werbeinhalte benötigt, dennoch geht der Trend auch im Bereich des Online-Marketings immer mehr zur «Maschine-zu-Mensch»-Lösung über.
  6. Werbeausgaben
    2015 waren die Online-Werbeausgaben das erste Mal höher als für die TV-Werbung. Dabei wuchs der europäische Online-Werbemarkt 2015 im Vergleich zum Vorjahr um 13 % auf insgesamt € 36.2 Milliarden. Im Vergleich dazu hat der europäische Fernsehmarkt nur € 33.3 Milliarden erzielt. Der grösste europäische Markt für Online-Werbung ist laut IABI europe Grossbritannien mit € 11.8 Milliarden Umsatz, gefolgt von Deutschland mit € 5.8 Milliarden. Den grössten Anteil kann dabei das Suchmaschinenmarketing verzeichnen, welches € 16.9 Milliarden erzielt hat. Stärker wächst aber das Display Advertising, bei dem beispielsweise Banner auf Webseiten platziert werden: In diesem Bereich wurden 2015 insgesamt € 13.9 Milliarden umgesetzt. Insbesondere Video-und Mobilwerbung tragen zum Wachstum bei.